Die Vertikalen Nikolai Taidakovs

 

Architektur ist erstarrte Musik - hat einmal ein Philosoph gesagt, ohne zu ahnen, daß der bildliche Umfang

dieser Metapher ihr zum Schlüssel zu werden erlaubt, der den Weg in den kleinen, aber energetisch

äußerst ausgefüllten künstlerischen Raum der malerischen Welt Nikolai Taidakovs eröffnet. Man müß

aber ausbedingen, daß weder die Architektur noch die Musik in ihrem inhaltlichen und konkreten

Versttehen eine thematische oder programmatische Grundlage seines Schaffens sind. Die architektonisch-

musikalische Denkweise, sowohl Begriffe als auch Kategorien dieser Künste, werden von Nikolai Taidakov,

Architekt nach der Ausbildung und Künstler nach der Berufung und dem Talent, bloß als intellektuelles

und emotionales Instrument benutzt, mit dessen Hilfe der Meister das einmalige künstlerische Wesen

seiner Malerei erschafft.

 

Die impulsiven bildnerischen Ausbrüche Nikolai Taidakovs sind durch sein bewußtes schöpferisches und

natürliches Bedürfnis veranlaßt, bei der künstlerischen Organisation des Raums ein originelles Farbmodel

zu schaffen, welches durch unwiederholbare scharfe Rhythmen gesteuert wird. Man kann sagen, daß der

Imperativ der Baukunst - schöpfen! aufbauen! schaffen! - wohl die inhaltlich-thematische Seite der

Malerei dieses eigenständigen Malers bestimmt.

 

Die Farb-rhithmischen Konstrukte Nikolai Taidakovs sind weit von der metaphysischen Gegebenheit

entfernt. Wie die klingende Musik beziehen sie den Betrachter in der dynamischen Prozeß des Schaffens

ein, welcher mit zurückhaltendem Temperament und versteckter schöpferischer Exaltation beladen ist...

 

Die malerischen Erbauungen des Meisters werden manchmal bewußt, aber öfter unterbewußt von den

inhaltlichen und künstlerischen Grundlagen der Architektur abgeleitet. Sie bleiben dabai künstlerisch

und inhaltlich selbstbegnügende Werke der Malerei, absolut eigenständige künstlerische Bilder.

 

Einheitlichkeit und Überlegtheit bei den Darstellungsmitteln, die vom Künstler anspruchsvoll gewählt

sind, überzeugen uns davon, daß es keine Simulation der Gattung, kein formales Spiel mit dem

Abstraktionismus ist, sondern sozusagen rassige, echte Abstraktmalerei mit ihrer eigenen künstlerischen

Philosophie.

 

Die malerischen Konstrukte Nikolai Taidakovs erinnern manchmal an die extravaganten, kristallinen

Improvisationen der Natur. Bei ihrem Anblick entsteht der natürliche Eindruck, daß sie in den Rhythmen

und Tempi des Selbswachsens geschaffen wurden. Die Kunstwerke Nikolai Taidakovs entwickeln sich

vom ersten vertikalen Pinselstrich wie von dem Kern, der Stimmgabel des zukünftigen malerischen Baus

bis zum vollen Ausreifen gemäß  ihrem genetischen Code, welcher die Einmaligkeit und die

Unwiederholbarkeit dieser künstlerischen Art bestimmt.

 

Vielleicht haben die Arbeiten des Künstlers deswegen eine bewundernswerte Eigehschaft.

 

Wie der kleinste Kristall, der die gesamte Summe der Eigenschaften in sich trägt, die der ganzen

Mineralart eigen ist, trägt eine einzelne Leinwand die ganze Garnitur der holen künstlerischen

Qualitäten der gesamten Galerie des Schaffens Nikolai Taidakovs in sich.

 

Klang- oder Farbenausbruch als reelle physische Erscheinung, als Prozeß oder als Bild, ist immer eine

energieintensive Erscheinung, ihrer Natur nach aber eine kurzweilige. Welche Energie, welche Kraft

hält die malerischen Ausbrüche auf den Bildern Nikolai Taidakovs so lange in ihrem der Spannung

nach extremen Zustand, ohne zuzulassen, daß die vibrierenden Farbenakkorde auseinanderfließen,

in unbedeutende Farbklänge zerfallen?

 

Wie gelingt es dem Künstler, in jeder auf der Leinwand entstehenden komplizierten rhythmischen Figur

die architektonische Ganzheit und Harmonie dieser farb-musikalischen Zusammenklänge aufzubewahren,

wobei infolge seiner Genrevorlieben der Autor keine Möglichkeit hat, diese irrationale malerischen

Konstrukte durch Gegenständlichkeit zu befestigen oder hinter dem literarischen Sujet-Programm

zu verstecken?

 

Man möchte meinen, daß der tadellose Geschmack und eine besondere künstlerische Intuition dieses

eigenständigen Meisters den hohen Grad der schöpferischen Festigkeit und Zuverlässigkeit versichern.

Zwei Eigenschaften, deren Summe man mit einem so einfachen wie geheimnisvollen Wort

bestimmen kann - Talent.

 

                                                            Arkadij Klenov

                                                            Kunsthistoriker,

                                                            2003 München