EINE AUSSTELLUNG DER GRAPHISCHEN KUNST ANLÄSSLICH DES HUNDERTJÄHRIGEN JUBLIÄUMS DER STADT TEL AVIV

        Palästina am Beginn des 20. Jahrhunderts, zur Zeit der Ottomanischen Herrschaft. Schattierungen von goldenem Sand und blauem Himmel. Windende Wege durch schattige Citrusbäume, schimmernd im dunklen Grün der Obstgärten. Reihen von dornign Büschen im Duft der Morgenbrise des Meeres, so durchdringend, dass er in Farbe und Malerei verwandelt wird. Dies ist der Anblick von Tel Aviv, gesehen mit den Augen der ersten israelischen Künstler, Menachem Shemi, Reuven Rubin, Israel Paldi, Ziona Tadger und Nachum Gutman. Ihre Augen wurden Zeugen der Erscheinung von steinigen weissen Häusern aus den Sanddünen, die Landschaft des Ahuzat Bayit Viertels und des Herzliya Gymnasiums füllend. Die ersten Häuser der Herzlstraße begannen zu entstehen.
        Anfang des Jahres 1917, weihten Nachum Gutman, Shulamit Halperin und Chaim Navon das erste Künstlerstudio Tel Avivs ein," Mif'al Omanut", im Hotel Spector, Ecke Nachlat-Benjamin und Gruzenberg Straße.
Die Künstler von Tel Aviv, mit all ihrer individuellen Einzigartigkeit, waren gekennzeichnet durch ihren gemeinsamen Stil, basiert auf der Synthese von äusserlichen Einflüssen und Eindrücken, geprägt von der Umgebung und den täglichen Ereignissen dieser Zeit. So wie die Impressionisten in ihrer Zeit, waren die ersten israelischen Künstler stillistisch nahe zueinander. Fast alle stellten den exotischen Orient dar, der sich den jungen Leuten offenbarte. Diese kamen aus russischen, rumänischen und polnischen Provinzen ins Land Israel, um hier zu leben, ihre neue Heimat aufzubauen und es mit neuem Geist zu bereichern. Das ideologische Klima dieser Zeit bestand aus einer Mischung von Protest gegen die provinizielle Engstirnigkeit des osteuropäischen Shtetls und der Anerkennung der orientalischen Traditionen der bereits im Land ansässigen Einwohner, sowohl Juden als auch Araber.
        Die Postkutschen von Jaffa; die Schiffe und Kaffeehäuser entlang der Küstenlandschaft; die weiten Strecken von blauem Meer und sonnigen Stränden; die sanften Umrisse von hügeligen Sanddünen, Olivenbäumen und Schafherden; die Anfänge der wachsenden Bauten von Tel Aviv; die lokale "Falla" - Lebensweise. Fast alle Künstler Tel Avivs wählten diese Bilder zum Malen im primitiv-naiven Stil von Henri Rousseau, der die ursprüngliche, gewaltige Natur der Objekte und Figuren betont, als ob sie wie Skulpturen aus Erde und Fleisch geschaffen wurden. Sie verwendeten hauptsächlich reine Farben, direkt aus der Tube gepresst. Die israelische Malerei und Graphik dieser Zeit war auf Schilderungen basiert. Die Schönen Künste wurden zu einem Epos über die Lebensart, mit der Ideologie des Pionier-Entdeckers als integraler Bestandteil dieses Lebens. Aber Ideologie kann nicht der Zeit und den Umständen entrinnen. 1926 begann eine Gruppe von jungen, dynamischen Malern und Graphik-Künstlern, aus dem neuen kreativen Ausbruch geboren, mit der modernen Kunstwelt eine Verbindung zu suchen. Sie waren es, die entschieden haben, ihre Kunstwerke nur in Tel Aviv zu zeigen, um den energiegeladenen Fortschritt der lokalen Gemeinde während der ersten Gründungsjahre der Stadt zu symbolisieren. So entstand die Idee für eine besondere Ausstellung im "Ohel" ("Marquee") Pavillon, welches das Zentrum für beginnende Künstler der Bühne, Literatur und Schönen Künste war. Dort fand auch 1926 die erste Ausstellung der Israelischen Modernisten statt. Seit diesem Zeitpunkt verlagerte sich der Schwerpunkt der israelischen Kunst allmählich von Jerusalem nach Tel Aviv.
        Vor zweitausend Jahren verlor das Volk Israels seine Bindung zu bildlichen Darstellungen. Nun aber gewann es erneut den Sinn für Betrachtung. Klassische Kunst, Primitivismus, Modernismus - waren die Grundlagen für das, was als Israelische Kunst bekannt wurde. Von da an, modernistische Stile in Kunst und Architektur beeinflussten nicht nur urbanes Aussehen oder charakteristische Merkmale des modernen Lebensstils, sondern auch die ganz bestimmte und einzigartige nationale Selbstwahrnehmung.
        Das heutige Tel Aviv, mit seiner reichhaltigen Lebensströmung, arbeitet immer weiter mit der treibenden Kraft der zeitgenössischen Trends der Künste. Während die vorherigen, lokalen Eigenschaften verschwunden sind, trat die Philosophie und Fantasie in den Vordergrund. Diese Dynamik wird einem bewusst bei der Betrachtung und Kennenlernen der modernen Graphik der israelischen zeitgenössischen Künstler.
        In einer kleinen Straße im Zentrum von Tel Aviv, der Elharisi Straße, ist seit Jahrzehnten eine Werkstatt fuer Kunstdruck im Rahmen des Künstlerhauses tätig. Diese Werkstatt ist unter den Künstlern sehr beliebt und sie kommen aus allen Landesteilen, um dort den Kunstdruck auszuüben. In den letzten zwei Jahren ist die Werkstatt täglich in Betrieb und die verschiedensten Techniken werden dort angewandt: Reliefdruck, Tiefdruck, Radierungen, Monotype und Collagraph, Holzdruck, Linoleumblockdruck, Seidendruck und mehr.
        Die Künstler, die in der Werkstatt arbeiten, verwenden die neuesten Methoden und die besten Materialien. Sie arbeiten gemeinsam, sie bilden eine feste Gruppe, die gut zusammenarbeitet, mit guten menschlichen Beziehungen und die auf einem hohen Niveau steht.
        Alle zeigen grosse Begeisterung und Eifer für den Kunstdruck.

Illya Bogdanovsky